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Ein Plädoyer für Koniferen

 „Koniferen sind einseitige, eintönige, einfallslose, langweilige, hässliche Friedhofspflanzen. Sie sehen alle gleich aus und haben in einem Garten nichts verloren.“

 

„Koniferen sind überflüssig und haben keinerlei ökologischen Nutzen. Vor allem sind sie völlig nutzlos für Tiere. Ich will einen vogel- und insektenfreundlichen Garten, deshalb pflanze ich keine Koniferen.“

 

„Unter Nadelbäumen wächst rein gar nichts, nicht mal Unkraut.“

 

„Mein erster Garteneinsatz bestand darin, sämtliche Koniferen auszubuddeln und zu entsorgen.“

 

„Eine der ersten Anschaffungen war eine Kettensäge. Damit haben wir den ganzen fiesen Eiben, Tannen und Wacholdern den Garaus gemacht.“

 

 

Wenn ich so etwas höre oder lese – und ich höre und lese es leider oft – dann empfinde ich körperliche Schmerzen. Denn so viel Unwissenheit, Vorurteile und Frevel tun weh. Ich muss einfach einmal die Koniferen in Schutz nehmen!

 

Es geht bereits damit los, dass viele, die so etwas von sich geben, gar nicht wissen, was Koniferen eigentlich sind.

 

„Konifere“ ist der Oberbegriff für alle Nadelgehölze. Nadelgehölze sind z.B. Tannen, Fichten, Lärchen, Mammutbäume, Zedern, Wacholder, Zypressen,  Douglasien, Kiefern, Eiben, Araukarien, Lebensbäume, Sicheltannen und noch so einige mehr. Sie alle haben natürlicherweise völlig unterschiedliche Wuchsformen, Nadelformen und Nadelfarben. Die meisten behalten ihre Nadeln das ganze Jahr über, aber manche werfen sie im Herbst auch ab. Wenn man dann jeweils die verschiedenen Zuchtformen noch hinzuzählt (kompakte, kegelförmige, bodendeckende, trichterförmige, gelbe, blaue, silberne … … …), dann gibt es eine unendliche Vielfalt an Koniferen, hunderte oder gar tausende verschiedene Sorten. Wer also behauptet, alle Koniferen sähen gleich aus, der hat offenbar noch nie eine Fichte oder eine Kiefer oder einen Wacholder gesehen – denn unterschiedlicher könnten diese gar nicht sein.

 

Koniferen sind entwicklungsgeschichtlich wesentlich älter als Laubbäume. Wenn Koniferen keinen ökologischen Nutzen hätten – warum gibt es sie dann? Wenn sie unsinnig wären – warum hat die Evolution sie dann bis heute erhalten? Die Natur macht nichts Sinnloses!

 

Für unzählige Vogelarten bilden die charakteristischen Astansätze und Verzweigungen eine ideale Basis für ihre Nester. Tannenhäher und Kreuzschnäbel sind zum Brüten und zum Nahrungserwerb zwingend auf Nadelgehölze angewiesen. Tannenmeise, Schwanzmeise, Haubenmeise, Sommer- und Wintergoldhähnchen, Waldohreule, Waldkauz, Ringel- und Türkentaube ebenso. Ohne Koniferen im Garten werden diese Vogelarten allenfalls auf kurze Stippvisite kommen – und wieder gehen, weil sie sich nicht wohlfühlen und keine Nahrungs- und Nistgrundlage finden. Auf dem Grundstück von Verwandten brüteten in den Kiefern regelmäßig Waldkäuze – mitten im Stadtgebiet von Berlin! Auch für Kleiber, Buntspechte und Eichhörnchen stellen die Zapfen der Nadelgehölze eine wichtige Nahrungsquelle dar. Die Waldmaus ernährt sich ebenfalls zum großen Teil aus den Samen in den Zapfen. Sie steht auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.

Selbst die vertraute Amsel zieht (wenn sie denn die Wahl hat!) Nadelsträucher den Laubgehölzen als Nistplatz vor. Wo sie keine dichten Koniferen findet, nimmt sie auch mit anderen Standorten Vorlieb. Ganz ähnlich die Singdrossel. Für beide Arten kann ich das aus eigener Beobachtung bestätigen: Die meisten Amsel- und Drosselnester in meinem Garten finde ich in Eiben und natürlich gewachsenem, unverschnittenem Wacholder. Im Winter, wenn Laubgehölze als tote Gerippe im Garten stehen, bieten Nadelbäume Vögeln und Säugetieren natürlichen Sicht- und Wetterschutz, Rast-, Schlaf- und Fressplätze. Ein Futterhäuschen macht mit einer Koniferengruppe in der Nähe noch wesentlich mehr Sinn.

 

Während die Forsythie gerade blüht, die Wildkirsche eben ihre Knospen öffnet, die Blutbuche im Hintergrund noch völlig kahl ist und die Hainbuche im Vordergrund noch ihre alten, braunen, vertrockneten Blätter trägt, erfreuen die Nadelbäume dazwischen und im Hintergrund mit ihren verschiedenen Formen, Größen und Grüntönen das Auge. Die Grenzen der einzelnen Gärten verschwimmen, die gemischte Vegetation bildet eine große ganze, abwechslungsreiche Landschaft. Davon hat auch die Tierwelt wesentlich mehr, als wenn jeder sein eigenes Ding macht. Warum also nicht mit dem Nachbarn absprechen? Warum nicht seine Pflanzen in die eigene Gestaltung, zumindest optisch, mit einbeziehen?

Und wer hat noch nie den würzigen Waldhonig genossen? Waldhonig machen die Bienen aus dem Honigtau von an Nadeln saugenden Insekten. Das können verschiedene Läuse und Zikaden sein. Uuuups – „böse“ Insekten und „gute“ Honigbienen an Koniferen zum Nutzen des Menschen?!

Der seltene Grünspecht - in meinen Garten kommt er oft
Der seltene Grünspecht - in meinen Garten kommt er oft

Die Rote Waldameise benötigt zum Anlegen ihrer Baue herabgefallene Nadeln. Sie steht in einigen Gebieten Deutschlands unter Schutz. Bei günstigen Bedingungen siedelt sie sich auch im Garten an. Sie ist für Menschen völlig ungefährlich und dringt weder in Häuser ein, noch zerstört sie Holz, noch untergräbt sie Wege, noch vergreift sie sich an Vorräten. Sie zu beobachten ist ein Erlebnis der besonderen Art, was einem ohne Nadelbäume auf jeden Fall entgeht. Die Rote Waldameise ist in strengen Wintern oftmals die einzige Nahrung für die ebenfalls selten gewordenen Grünspechte. Keine Nadelbäume, keine Waldameisen, keine Grünspechte…

 

Verschiedene Stauden und Bodendecker vor Thujahecke
Verschiedene Stauden und Bodendecker vor Thujahecke

Ich habe im alten Garten auch schon Wespennester in der Thujahecke gehabt. „Wespennester in der Thujahecke? Ja, geht’s denn noch? Die musst du natürlich sofort wegmachen! Die Wespennester, und die scheußliche Thujahecke gleich mit!“ Ich MUSS die wegmachen? Warum denn? Unter Garantie nicht! Wespen sind keine Bestien, und Thujas kein Teufelszeug, sondern beide haben, wie jedes Lebewesen, seine biologische Daseinsberechtigung. Eine geschnittene Thujahecke kann ein wunderbarer Sicht- und Windschutz sowie Hintergrund für Staudenpflanzungen sein.

 

Eigentlich aber gehören Nadelgehölze nicht verstümmelt, sondern entfalten in ihrem natürlichen Wuchs erst ihre ganze Schönheit. Was nicht heißt, dass man nicht bei Bedarf verantwortungsvoll und artgerecht formend eingreifend kann. Einer Fichte jedoch den Wipfel zu kappen, kommt einer Vergewaltigung gleich. Und bei allem, was Nadeln hat, mit der Kettensäge die Endlösung zu schaffen, ist Frevel am Baum. Wie viele Jahre hat dieser Baum gebraucht, um auf seine gegenwärtige Größe zu wachsen? Wie vielen Tieren hat er in dieser Zeit Unterschlupf und Nahrung gewährt? Was zerstöre ich, wenn ich ihn fälle? Mit dem Fällen großer, alter Nadelbäume wird wertvoller Bestand zerstört. Es dauert Jahrzehnte, bis mit Neupflanzung wieder ein ähnlicher Zustand erreicht ist. Welche Möglichkeiten habe ich daher, den Baum zu erhalten und meine Interessen zu wahren bzw. Wünsche umzusetzen? Meist geht das nämlich konform – allein durch das entsprechende Aufasten einer alten Tanne oder Fichte gewinnt man schon mehr Licht und Luft, dafür muss der Baum nicht gefällt werden. Diese Fragen sollte sich jeder selbsternannte Ökogärtner stellen und ehrlich beantworten, andernfalls disqualifiziert er sich als solcher selbst.

Links freiwachsende Weymouthskiefer, daneben Rotfichte
Links freiwachsende Weymouthskiefer, daneben Rotfichte

Wer noch nie eine frei wachsende Tanne, Zypresse, Eibe oder Zeder gesehen hat, der weiß nicht, was ihm an Ästhetik entgeht, und der sollte ernsthaft in Erwägung ziehen, einem solchen Baum das freie und artgerechte Wachstum in seinem Garten zu ermöglichen. Es gibt – um auf die anfangs erwähnte Arten- und Sortenvielfalt zurückzukommen und nebenstehendes Foto zu relativieren – auch entsprechend taugliche Exemplare für kleine Gärten!

 

 

Wer behauptet, dass unter Nadelbäumen nichts wächst, der war offenbar noch nie in einem intakten Wald mit seiner Strauch- und Krautschicht. Nur in künstlich aufgeforsteten Fichtenmonokulturen wächst auf dem Waldboden nichts (durch den menschengemachten Eingriff!), in jedem natürlichen Nadel- oder Mischwald ist der Boden bewachsen. Da niemand in seinem Garten eine Fichtenmonokultur anlegen wird, kann man also immer die Struktur eines „Mischwaldes“ imitieren. Unter meinen Nadelbäumen wächst sehr viel: diverse Sträucher inklusive Himbeeren und Azaleen, Farne, Akeleien, Fingerhut, Waldmeister, Walderdbeeren, Immergrün, Ruprechtskraut…

 

Das Bild stammt, wie alle anderen hier auch, aus meinem Garten und zeigt ganz links, hinter den Pflanzen kaum zu sehen, den Stamm einer Stech-Fichte und in der Mitte eine aus der Wurzel mehrstämmig wachsende Eibe, beide etwa vierzig Jahre alt. Daneben schlängelt sich ein kleiner Gartenweg vorbei. Dafür, dass unter Koniferen angeblich nichts wächst, sieht es unter diesen  beiden doch sehr grün aus, oder?

Als Gestaltungselemente geben Koniferen dem Garten Struktur und dem Auge halt. Nadelgehölze bringen im Sommer Ruhe in bunte Gartenszenen und trumpfen in der toten Saison mit unterschiedlichen Nadeln und Wuchsformen auf. Ich mag Koniferen immer, aber ganz besonders mag ich sie im Winter, wenn der grüne Tupfen im trostlosen Grau vor der Kulisse der nackigen Baum- und Strauchskelette an den Sommer oder gar an südliches Flair erinnert.

Ihre Zapfen eignen sich durch ihr Harz hervorragend zum Anzünden des heimischen Kamins oder des Grills im Sommer. Im Einzelhandel werden sie für teures Geld zu ebendiesen Zwecken verkauft. Wer Kiefern- und Fichtenzapfen nicht selbst gebrauchen oder verwenden kann, wird sicherlich dankbare Abnehmer finden. Auch Kinder- und Behinderteneinrichtungen nehmen sie gern als Spende zum Basteln an.

 

Wer in oder um seinen Garten wie ich ausgewachsene Eichen, Buchen oder Linden stehen hat, deren Laub er alljährlich entsorgen muss, weiß auch aus diesem Grunde die Nadelgehölze zu schätzen. Vom herrlichen Waldgeruch, der ihnen bei Sonneneinstrahlung durch Freisetzung ihrer ätherischen Öle entströmt, ganz zu schweigen.

 

Koniferen sollte man nicht verteufeln, sondern als gleichberechtigte  Gestaltungselemente anerkennen. In einem Garten ohne Koniferen fehlt etwas. Ich mag die bunte Vielfalt – in jeder Hinsicht! Koniferen sind daher genau wie Rosen, Stauden, Kletterpflanzen oder Laubgehölze in keinem Garten verzichtbar. Wer mit Blick auf Vögel, Insekten und Kleinsäuger eine reine Laubbepflanzung setzt, tut für die Tierwelt weit weniger, als er zu tun glaubt. Denn ökologisch ist eben gerade nicht die reine Laubbepflanzung, sondern die richtige Mischung aus Laub- Nadelgehölzen besonders wertvoll!

Sämtliche Fotos stammen aus meinem Garten und sind urheberrechtlich geschützt.

 

Ein Wort zum Schluss:

 

Wer jetzt denkt, dass mein Garten mehrere tausend Quadratmeter groß ist, der irrt. Gerade mal 650 misst er. Und wer mir vorwirft, dass ich gut reden hätte, weil mein Garten mitten im Wald liegt - ein Grundstück meiner Familie war ähnlich angelegt, aber es war kleiner, beherbergte ein Wohnhaus und lag mitten in Berlin!

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Kommentare: 1
  • #1

    Marlise Schaeffert (Montag, 18 März 2019 06:31)

    Herzlichen dank für Ihren wunderbaren Beitrag zur Artenvielfallt. Mein Nachbar hat eine riesen Tanne oder Fichte (ich kenne mich nicht aus) im Garten. Am anfang dachte ich wie schön es wäre wenn die weg wäre... Seither habe ich Elstern darin nisten sehen und vorallem viele mir vorher unbekannte singvögel beobachtet die offensichtlich dank diesem Riesen unseren Garten bevölkern. Deshalb hoffe ich seit mehreren Jahren dass er diesen Baum nie umhaut. Mein Garten ist klein aber ich werde diese Jahr nach einem kleinen Nadelgehölz als zukunftigen Nistplatz für meinen Garten ausschau halten.